D-Konstanz | Werbung ist vielleicht nicht das, woran Hersteller als Erstes denken, wenn sie ein neues Medizinprodukt entwickeln. Doch auch in der Medizintechnikbranche gehört sie dazu. Zumal es schnell passiert, dass Unternehmen Werbung machen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wie in allen Bereichen gibt es auch in Sachen Werbung für Medtech-Hersteller einige Besonderheiten zu beachten. Was erlaubt ist und was nicht, erfahren Sie in diesem Beitrag.
1. Was fällt unter Werbung?
Der Begriff “Werbung” umfasst erheblich mehr, als viele Unternehmen glauben. Nach der EU-Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung fällt unter Werbung:
Dieser Begriff ist nicht nur weit gefasst, sondern wird auch durch die Rechtsprechung regelmäßig weit interpretiert.
Wichtig ist daher zu verstehen, dass nicht nur “klassische Werbung“ im TV oder als Anzeige in einer Zeitschrift als Werbung gilt. Jeglicher Geschäftskontakt, der den Absatz fördern soll, fällt darunter. Das umfasst z. B. auch:
- Auf Absatz ausgerichtete Social-Media-Posts
- Empfehlung-E-Mails (“Tell a friend”)
- Produkt-Bewertungen auf der eigenen Unternehmenswebsite
- Werbesätze im Footer einer ansonsten nicht werblichen E-Mail (nach Urteil des KG Berlin vom 15.09.2021 (Az. 5 U 35/20). Konkret ging es um den kleinen Zusatz “XXXXX. Organisiert, denkt mit, erledigt. Nutzen Sie www.XXXXX.de” im Footer der Mail).
2. Was sind die allgemeinen Grenzen von Werbung?
Die allgemeinen Grenzen für Werbung setzt das Wettbewerbsrecht. Die wichtigsten Vorschriften hierfür finden sich im “Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb” oder kurz UWG.
Das UWG beinhaltet eine “Schwarze Liste” im Anhang von § 3 Abs. 3. Hier werden konkrete Werbehandlungen aufgelistet, die unter allen Umständen verboten sind, soweit sie sich an Verbraucher richten. Dazu gehören etwa als Informationen getarnte Werbung oder falsche Angaben im Werbematerial.
Davon abgesehen gibt es noch zahlreiche weitere Regelungen, insbesondere zu speziellen Themen. Die wichtigsten Werberegeln lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
a) Keine irreführende Werbung
Unter irreführender Werbung nach § 5 UWG fallen alle Handlungen, die Marktteilnehmer dazu veranlassen können, eine Entscheidung zu treffen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten. Sprich: Unternehmen dürfen mit Argumenten überzeugen, aber nicht durch Täuschung.
Unter Irreführung fallen beispielsweise:
- Unwahre Angaben
- Aussagen, die so gestaltet sind, dass sie falsch verstanden werden können
- Werbung mit Selbstverständlichkeiten (mit einer zweijährigen Garantie können Unternehmen nicht werben, wenn diese bereits gesetzlich vorgeschrieben ist)
- Werbung mit “Kleingedrucktem” (etwa: Alles Positive wird hervorgehoben, die Nachteile stehen kaum lesbar auf der Rückseite.)
b) Vorsicht bei Vergleich mit anderen Produkten
Per se ist der Vergleich mit konkreten Konkurrenzprodukten nicht verboten. Verboten ist dieser jedoch, wenn er nach § 6 UWG unlauter ist. Das ist z. B. der Fall bei
- einem Vergleich mit Produkten mit anderer Zweckbestimmung,
- einer subjektiven Bewertung des Konkurrenzprodukts,
- dem Ausnutzen des guten Rufs eines Konkurrenzprodukts oder Rufschädigung.
Gerade im Bereich Medizin verlangen Gerichte zudem regelmäßig, dass Aussagen auf wissenschaftlicher Basis beruhen.
Unternehmen, die unfreiwillig in der Werbung anderer auftauchen, gehen nicht selten dagegen vor. Daher sollten sich Hersteller vor dem Einsatz von Vergleichen gut darüber informieren, worauf sie achten müssen. Überlegen Sie, ob ein Vergleich wirklich der klügste Weg ist.
3. Was gilt für Medizinprodukte?
Auch für Medizinprodukte gelten diese allgemeinen Regeln. Darüber hinaus gibt es spezielle Anforderungen.
a) Heilmittelwerbegesetz
Das deutsche Heilmittelwerbegesetz (HWG) gilt für Medikamente und nach § 1 Abs. 1 Nr. 1a) auch für Medizinprodukte im Sinne von MDR und IVDR.
Dieses Gesetz findet Anwendung auf die Werbung für …
Medizinprodukte im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates (ABl. L 117 vom 5.5.2017, S. 1; L 117 vom 3.5.2019, S. 9; L 334 vom 27.12.2019, S. 165), die durch die Verordnung (EU) 2020/561 (ABl. L 130 vom 24.4.2020, S. 18) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung und im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 der Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission (ABl. L 117 vom 5.5.2017, S. 176; L 117 vom 3.5.2019, S. 11; L 334 vom 27.12.2019, S. 167) in der jeweils geltenden Fassung,Quelle: § 1 Abs. 1 Nr. 1a) HWG
Zwar finden sich für Medizinprodukte im HWG weniger Einschränkungen als für Arzneimittel, doch ist auch für Medizinprodukte nicht jegliche Form der Werbung gestattet. Das HWG unterscheidet jedoch zwischen Werbung für Laien und Werbung für Fachkreise.
Laie oder Fachpublikum?
Zahlreiche Vorschriften des HWG gelten nicht für Werbung, die sich an Fachkreise richtet. “Fachkreise” definiert das Gesetz folgendermaßen:
Fachkreise im Sinne dieses Gesetzes sind Angehörige der Heilberufe oder des Heilgewerbes, Einrichtungen, die der Gesundheit von Mensch oder Tier dienen, oder sonstige Personen, soweit sie mit Arzneimitteln, Medizinprodukten, Verfahren, Behandlungen, Gegenständen oder anderen Mitteln erlaubterweise Handel treiben oder sie in Ausübung ihres Berufes anwenden.Quelle: § 2 HWG
Mit „Fachkreisen“ sind also vor allem Profis aus der Medizinbranche gemeint: Ärztinnen und Ärzte, Krankenhauspersonal, Apothekerinnen und Apotheker etc.
Möchten Unternehmen vor allem Krankenhäuser, Praxen und oder Labore erreichen, müssen sie weniger beachten, als wenn sie sich mit ihrer Werbung an Patienten richten.
- Zielgruppe Patienten
Unter welchen Voraussetzungen die Adressierung von Patientinnen und Patienten möglich ist, listet das HWG vor allem in § 11 auf. Es ist z. B. nicht erlaubt nahezulegen, dass sich die Gesundheit verschlechtern würde, wenn ein bestimmtes Produkt nicht genutzt wird. Auch die Nutzung von Testimonials, die irreführen könnten, ist untersagt. § 12 verbietet außerdem die Werbung für Produkte, die sich auf bestimmte Krankheiten beziehen.
- Zielgruppe Fachkreis
Fachkreise sind von zahlreichen Vorschriften ausgenommen; so etwa auch von den Negativlisten aus § 11 und 12 HWG. Das bedeutet jedoch nicht, dass bei Werbung mit der Zielgruppe „Medizinprofis“ alles erlaubt ist. Vor allem gilt hier das Gebot der Wahrheitsgetreue von Informationen (wissenschaftliche Evidenz ist nötig) sowie eine Einschränkung von Zuwendungen.
b) MDR und IVDR
Auch MDR und IVDR enthalten ein spezielles Täuschungsverbot bezüglich des Werbematerials für Medizinprodukte. Die Gestaltung des Werbematerials knüpfen die Verordnungen an die Zweckbestimmung des Produkts.
Bei der Kennzeichnung, den Gebrauchsanweisungen, der Bereitstellung, der Inbetriebnahme und der Bewerbung von Produkten ist es untersagt, Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere bildhafte oder nicht bildhafte Zeichen zu verwenden, die den Anwender oder Patienten hinsichtlich der Zweckbestimmung, Sicherheit und Leistung des Produkts irreführen können, indem sie
a) dem Produkt Funktionen und Eigenschaften zuschreiben, die es nicht besitzt,
b) einen falschen Eindruck hinsichtlich der Behandlung oder Diagnose und der Funktionen oder Eigenschaften, die das Produkt nicht besitzt, erwecken,
c) den Nutzer oder Patienten nicht über die zu erwartenden Risiken, die mit der Verwendung des Produkts gemäß seiner Zweckbestimmung verbunden sind, informieren,
d) andere Verwendungsmöglichkeiten für das Produkt empfehlen als diejenigen, für welche angegeben wird, dass sie Teil der Zweckbestimmung sind, für die die Konformitätsbewertung durchgeführt wurde.Quelle: Art. 7 MDR/IVDR
Alle Werbematerialien eines Medizinprodukts müssen also
- der Zweckbestimmung entsprechen. Es darf keine Verwendung über diese hinaus suggeriert werden
- wahrheitsgetreu sein
- realistische Erwartungen wecken in Hinblick auf Nutzen und Risiken
Unterschiede bei Fachkreisen?
MDR und IVDR unterscheiden nicht zwischen den Zielgruppen „Laien“ und „medizinisches Fachpersonal“. Begleitmaterialien wie Gebrauchsanweisungen müssen allerdings an die Zielgruppe angepasst sein (mehr dazu in unserem Beitrag zu Gebrauchsanweisungen).
Hersteller, die ihre Produkte europaweit vermarkten, sollten Vorsicht walten lassen: Wo in Deutschland weniger strenge Regelungen für die Werbung an Fachkreise gelten, gelten in anderen europäischen Ländern vielleicht strengere. Informieren Sie sich daher unbedingt über die nationalen Regelungen.
4. Was gilt für Werbung im Internet?
a) Darf man ein Medizinprodukt über Social Media bewerben?
Weder MDR noch IVDR äußern sich zu Werbung auf sozialen Medien. Auch nach deutschem Recht steht der Werbung für Medizinprodukte auf Social Media nichts entgegen. Doch in der Praxis ist hier große Vorsicht geboten.
- Die allgemeinen Vorschriften, vor allem des UWG, Telemediengesetzes und HWG, sind zu beachten.
- Bei Social Media liegt der Verdacht verbotener “Schleichwerbung” schnell nahe. Ein Link auf ein Produkt oder ein nicht gekennzeichneter Hinweis genügen oft schon. Werbung muss als solche ganz eindeutig erkennbar sein.
- Beachten Sie die Richtlinien der Social-Media-Plattformen selbst. LinkedIn beispielsweise schränkt die Werbung für Medizinprodukte ein.
- Influencer-Marketing muss ebenfalls stets genauestens gekennzeichnet sein.
Vorsicht bei Werbung durch Influencer
Sogenanntes Influencer-Marketing, bei dem Dritte in den sozialen Medien ein Produkt bewerben, ist nur zulässig, wenn der entsprechende Post eindeutig als Werbung gekennzeichnet ist.
In der Praxis geschieht dies meist durch die Einblendung “Gesponsorter Post” oder “Werbung” sowie einen Hinweis auf den Sponsor des Posts. Wichtig ist, dass ein Post auf den ersten Blick als werblich zu erkennen ist und der Sponsor sowie die Bedingungen (etwa bei Wettbewerben) leicht zu identifizieren sind.
In der Praxis gilt: Lieber einmal zu oft auf den werblichen Charakter hinweisen, als Ärger mit den Behörden oder der Konkurrenz zu riskieren.
b) Was gilt für Websites?
Richtet sich Werbung auf Websites an ein Fachpublikum, ist es in der Regel nötig, diese Seiten mit einer Zugangsbeschränkung zu versehen. Eine reine Abfrage “Gehören Sie der Berufsgruppe „Medizinisches Fachpersonal“ an?” ist nicht ausreichend. In der Praxis nutzen viele Unternehmen spezielle Methoden zur Kontrolle und Registrierung.
5. Was kann passieren, wenn man die Grenzen nicht einhält?
Beim Verstoß gegen die genannten Vorschriften drohen u. a. Schadensersatzforderungen, Bußgelder oder sogar Haftstrafen. In Extremfällen kann nach dem StGB auch eine Haftbarkeit wegen Betrugs in Betracht kommen.
Was bei missbräuchlichen Aussagen in Bezug auf Medizinprodukte passieren kann, mussten gerade drei Mitarbeitende einer Firma aus Pliezhausen erfahren. Das Unternehmen hatte ein Bioscan-Gerät zur Analyse von Gesundheitsdaten vertrieben, das in Wirklichkeit absolut keinen medizinischen Nutzen hatte. Die drei leitenden Mitarbeitenden des Unternehmens wurden wegen gewerbsmäßigen Betrugs und Verstoßes gegen das HWG zu mehreren Jahren Haft bzw. hohen Geldstrafen verurteilt.
6. Fazit
Ohne Werbung geht es in keiner Branche, auch nicht in der Medizintechnik. Hersteller sollten jedoch hohe Maßstäbe vor allem an die Genauigkeit der Informationen legen, die sie verbreiten. Im Zweifel ist es bei Medizinprodukten besser, mit den Werbeversprechen ein wenig auf dem Teppich zu bleiben, als als Schlagzeile in den Medien zu enden. Das ist dann zwar auch Werbung, aber vermutlich nicht die, die man sich wünscht.
(Quelle: Blog Johner Institut, 05.07.2022)